Was ist Verhaltenstherapie?
Die Verhaltenstherapie (kurz: VT) gehört zu den bekanntesten und am meisten genutzten Psychotherapieverfahren in der westlichen Welt. Zugleich wurden die zur VT gehörenden Methoden bisher am meisten erforscht. Wirksamkeitsnachweise gibt es für nahezu jede psychische Störung.
Die VT entstand um die Mitte des 20. Jahrhunderts und brachte zunächst therapeutische Verfahren zur Entkonditionierung angstbesetzter Reize hervor: Ängste vor einem bestimmten Objekt, vor Personen oder Situationen sollten also gezielt wieder verlernt bzw. abtrainiert werden - in der Regel durch Konfrontation (auch "Exposition" genannt).
Grundlage war damals vor allem die Lerntheorie: wie wir etwas lernen/abspeichern und wie wir es wieder verlernen können. Der Blick auf die menschliche Psyche war dabei ganz am äußeren Verhalten orientiert, daher der Name "Verhaltenstherapie". (Im Englischen heißt Verhalten behaviour und das wissenschaftliche Konzept hinter dieser Therapieform daher "Behaviorismus".) - Auch wenn diese Psychotherapieschule im Laufe der Zeit immer wieder deutlich erweitert wurde: der Name wurde (im deutschsprachigen Raum) beibehalten.
Das Verlernen und Abtrainieren von Ängsten geschieht noch heute mithilfe der jahrzehntelang bewährten Konfrontationsverfahren: entweder abgestuft mit der sog. Systematischen Desensibilisierung (Ängste werden nach Intensität geordnet und die Konfrontation mit der schwächsten Angstsituation begonnen - und das zunächst nur in Gedanken, = in sensu, und danach erst in der Realität, = in vivo) oder durch das sog. Flooding (Betroffene setzen sich dem stärksten angstbesetzten Reiz so lange aus, bis die Angst nachlässt und die Gewöhnung, = Habituation, eintritt). In der klassischen Verhaltenstherapie geht man nur in entspanntem Zustand in diese Konfrontationssituationen hinein, d.h. man erlernt zunächst ein Entspannungsverfahren und wendet dieses im Vorfeld der Konfrontation an.
Ich kombiniere die Systematische Desensibilisierung in der Regel mit der PEP (Prozess- und Embodimentfokussierte Psychologie), d.h. die Angst wird nicht ausgehalten, bis sie geringer ist, sondern sie wird mittels Klopftechnik und Selbststärkungsaffirmationen aktiv verringert. Auch hier arbeiten wir zunächst in sensu und dann in vivo.
Daneben gibt es zahlreiche weitere Verfahren und Techniken, die die Verhaltenstherapie (VT) im Laufe der Zeit hervorgebracht hat:
Aus der sogenannten "ersten Welle" in der 1950er-/60er-Jahren sind das z.B. Trainings und Übungen, die durch das positive Resultat (weniger Angst oder Schwierigkeiten als erwartet) zum Erfolg führen. Das heißt neue Fähigkeiten (z.B. soziale Kompetenzen) werden erlernt und unerwünschte Reaktionen und Verhaltensweisen werden Stück für Stück abgebaut.
Klassische VT-Techniken, die ich häufig nutze:
- Expositionsverfahren
- Systematische Desensibilisierung
- Verhaltensexperimente
- Rollenspiele (Therapeutin und Klient*in üben bestimmte kommunikative Situationen ein)
- Alltagsstrukturierung
- Selbsthilfe, Selbstfürsorge, Selbstmanagement
- Trainings, z.B. zur Erweiterung eigener sozialer Kompetenzen
- Entspannungsverfahren wie Autogenes Training (AT) und Progressive Muskelrelaxation (PMR)
Ab den 1960er/70er-Jahren entwickelten sich in der sog. zweiten Welle der Verhaltenstherapie Methoden, um belastende, automatische Gedanken zu verändern. Die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) entstand. In der Therapie werden eine Sensibilität für unbewusst ablaufende Denkprozesse entwickelt und alternative Sichtweisen erarbeitet. Diese sollen dann mehr und mehr eingeübt werden in den entsprechenden Situationen.
In einer dritten Welle ab dem 1980er-Jahren kamen die Konzepte Achtsamkeit und Akzeptanz hinzu, die fortan die VT und die KVT ergänzen konnten. Es entwickelten sich innerhalb der Verhaltenstherapie-Schule weitere Verfahren wie die Akzeptanz- und Commitmenttherapie (ACT) sowie die Mindfulness based Cognitive Therapie (MBCT, dt. Achtsamkeitsbasierte Kognitive Therapie).
Auch die Schematherapie nach Young integriert verstärkt Achtsamkeit und Akzeptanz in ihr Konzept.
Solche Weiterentwicklungen der VT, mit denen ich arbeite, sind:
- Kognitive Umstrukturierung (aus der Kognitiven Verhaltenstherapie)
- Metakognitive Ansätze (eine Weiterentwicklung der Kognitiven VT)
- Ansätze und Methoden aus der Schematherapie (Verhaltens-, Erlebens- und Denkmuster werden im Lichte der Kindheit des Klienten verstanden und in diesem Zusammenhang bearbeitet)
- Achtsamkeitspraxis (westliche Form buddhistischer Meditation als heilsames Element)
- Emotionsorientierung (Wichtigkeit auch "negativer" Gefühle, ihre Funktionen und Regulationsmöglichkeiten) - beispielweise mit dem umfassenden, wissenschaftlich entwickelten Programm TEK, Training emotionaler Kompetenzen oder mithilfe der PEP, Prozess- und Embodimentfokussierte Psychologie
Inzwischen spricht man von einer weiteren Welle, der vierten in der VT, die den Körper (endlich) mit einbezieht. Im Körper nehmen wir unsere Gefühle wahr und über den Körper können wir sie auch am direktesten regulieren.
Ansätze und Methoden, die in den letzten 10-20 vermehrt mit der VT kombiniert werden, die ich ebenfalls nutze:
- Embodiment-Orientierung - den Körper mit einbeziehen - z.B. mit PEP und anderen Werkzeugen aus der Somatischen Psychologie
So vielfältig die Verhaltenstherapie inzwischen ist, ihre wissenschaftliche, empirische Prägung eint all diese Ansätze. Was sonst noch Gemeinsamkeiten sind bzw. sein sollten, wird an den von Markgraf definierten Prinzipien sichtbar:
Prinzipien der Verhaltenstherapie nach J. Markgraf
Verhaltenstherapie ...
- ... orientiert sich an der empirischen Psychologie: Es werden nur Methoden akzeptiert, für die es wissenschaftliche Wirknachweise gibt.
- ... ist problemorientiert: Das Anliegen des Klienten / der Klientin steht im Mittelpunkt. Es wird ausführlich analysiert und dann geschaut, an welchen Stellen man ansetzen kann, um das Problem zu lösen.
- ... nimmt die individuelle Prädisposition (angeborene Neigung eines Menschen zu einer psychischen Störung), die auslösenden und die aufrechterhaltenden Faktoren der psychischen Symptome in den Blick: die Behandlung wird danach geplant, wie diese Bedingungen beim einzelnen Klienten ausfallen.
- ... ist zielorientiert: Zu Beginn werden die Ziele einer Therapie ganz konkret definiert und dann festgelegt, wie diese erreicht werden können.
- ... ist handlungsorientiert: Es geht um das Einüben bestimmter Techniken, die im Alltag in den Problemsituationen angewendet werden sollen.
- ... ist nicht auf das therapeutische Setting begrenzt: Klient*innen üben zwischen den Sitzungen die erlernten Problemlösefertigkeiten ein und werten dies in der nächsten Sitzung mit der Therapeutin aus.
- ... ist transparent: Klient*innen werden ausführlich informiert, warum welche Techniken oder Übungen zum Einsatz kommen bzw. von der Therapeutin vorgeschlagen werden.
- ... ist Hilfe zur Selbsthilfe: Die in der Therapie erlernten Werkzeuge kann der Klient / die Klientin selbst anwenden und auch noch Jahre nach Ende der Therapie nutzen.
- ... ist um ständige Weiterentwicklung bemüht und offen hierfür: Deutlich wird dies in ihrer Geschichte - von der rein behavioristischen Ausrichtung in den 1950/60er Jahren (1. Welle der VT), über die sog. Kognitive Wende in den 1970er Jahren (2. Welle der VT), weiter über die Integration sog. 3.-Welle-Verfahren bzw. -Haltungen wie Achtsamkeitspraxis und radikale Akzeptanz bis heute, wo mit der 4. Welle die Embodiment-Orientierung (Einbeziehung des Körpers) Einzug in die Verhaltenstherapie hält.