Zwangsstörungen - Symptome, Hintergründe, Therapie
Was sind Zwangsstörungen?
Bei Zwangsstörungen leiden die Betroffenen unter sich aufdrängenden Gedanken, Bildern oder Handlungsimpulsen. Diese Gedanken und Impulse werden als sehr belastend und als sinnlos empfunden. Typische Beispiele sind die Ideen: mit gefährlichen Bakterien kontaminiert zu sein, den Herd angelassen zu haben oder andere Menschen zu verletzen (oder verletzt zu haben).
Die Betroffenen versuchen sich gegen die Gedanken zu wehren – durch Unterdrückung der Gedanken, das Aufrufen anderer „Gegengedanken“ oder durch ausgleichende, neutralisierende Handlungen. 80-90 % der zwangserkrankten Menschen leiden so unter Zwangsgedanken und Zwangshandlungen.
Die sich aufdrängenden Gedanken und Handlungen beschäftigen die Betroffenen teilweise viele Stunden am Tag, sodass bei schweren Ausprägungen ein normales Alltagsleben nicht mehr möglich ist.
Symptome nach ICD-10
1) Über mind. 14 Tage an den meisten Tagen:
- Leiden unter Gedanken, Bildern, Vorstellungen oder Handlungsimpulsen, welche die Betroffenen als sich aufdrängend erleben
- oder unter Zwangshandlungen (um die Zwangsvorstellungen „auszugleichen“, zu neutralisieren)
- (für eine Diagnose nach ICD-11 mind. 1 Stunde lang pro Tag).
2) Der/die Betroffene erkennt die Gedanken oder Impulse als seine eigenen an (nicht von außen „eingegeben“ – was auf eine wahnhafte Störung hinweisen würde).
3) Der/die Betroffene versucht, gegen mindestens einen Gedanken oder Handlungsimpuls Widerstand zu leisten (was mit erheblicher Angst, Belastung, Stress einhergeht).
4) Es handelt sich um unangenehme, unsinnige Vorstellungen oder Handlungsimpulse.
5) Die Zwangssymptome wiederholen sich ständig .
Beispiele für Zwangsgedanken
Zu den häufigsten Zwangsgedanken gehören die folgenden. Grundsätzlich können auch zahlreiche andere Vorstellungen als Zwangsgedanken vorkommen.
- kontaminiert, verseucht, beschmutzt sein (Krankheitserreger, Exkremente u.a.)
- fremde Menschen versehentlich mit dem Auto überfahren zu haben
- nahe Angehörige verletzen zu können (sich nicht unter Kontrolle zu haben)
- Befürchtung, ungewollt bestimmte Sexualpraktiken oder sexuelle Handlungen durchzuführen
- Befürchtung, ungewollte Suizid zu begehen (von einer Brücke zu springen o.Ä.)
Wichtig: die aggressiven Vorstellungen (gegen andere oder sich selbst) werde nie in die Tat umgesetzt!
Viele Betroffene, die nach außen hin keine Zwangshandlungen durchführen, tun dies lediglich auf gedanklicher Ebene. - Solche subtilen Zwangshandlungen können sein:
- das Unterdrücken von Zwangsvorstellungen
- das Aufrufen gegenteiliger Gedanken
- subtile Bewegungen oder Gesten, die von den Betroffenen selbst gar nicht als wiederkehrende Reaktionen erkennt werden.
Beispiele für Zwangshandlungen
Zwangshandlungen dienen den Betroffenen dazu, um sich von den Zwangsgedanken bzw. von der damit verbundenen Anspannung (Angst, Ekel, Entsetzen) zu befreien. Die häufigsten sind:
- Waschzwang sich übertrieben häufig die Hände waschen müssen (z.B. 50- bis 100-mal am Tag) oder stundenlanges Duschen (damit einher gehen folglich Hauterkrankungen durch das andauernde Entfernen der schützenden Fettschicht auf der Hautoberfläche)
- Kontrollzwang: unzählige Male überprüfen müssen, ob der Herd ausgeschaltet ist, die Fenster geschlossen, das Licht ausgeschaltet, die Wohnungs- oder Haustüre verschlossen ist
- Streben nach Symmetrie: Gehwegplatten nach bestimmten Muster betreten oder anderes
- Ordnungszwang: Gegenstände anordnen oder geometrisch perfekt ausrichten
- Zählzwang: verschiedene Dinge, Gegenstände oder Objekte müssen vollständig und korrekt gezählt werden (Autos, Fenster, Fassaden-Elemente u.a.)
- Zwangsrituale: alltägliche Tätigkeiten (z.B. Anziehen) müssen nach bestimmten Ritualen ablaufen (und dauern entsprechend sehr lang); wenn dabei „Fehler“ gemacht werden, muss von vorne begonnen werden oder „Strafrunden gedreht“ werden
Häufige Merkmale von Zwangshandlungen
Grundlage der Zwangshandlungen ist häufig sog. „magisches Denken“: dass etwas Schlimmes passieren würde, wenn die Handlung nicht (ordnungsgemäß) ausgeführt wird.
Die Anzahl der Durchführung spielt eine wesentliche Rolle für die meisten Betroffenen.
Es entstehen starke Angst-, Stress oder Ekelgefühle, wenn versucht wird, die Handlung zu unterdrücken.
Die Betroffenen erkennen den irrationalen Charakter ihrer Gedanken und Handlungen, wissen sich aber nicht anders zu helfen und schaffen es allein nicht aus diesem Teufelskreis heraus.
Die Durchführung der Zwangshandlungen nimmt oft erheblich viel Zeit in Anspruch, sodass die Betroffenen früher oder später Probleme im Beruf, in der Alltagsbewältigung und mit Angehörigen bekommen.
Therapie von Zwangsstörungen
Somatische Therapie
Wie bei allen psychischen Störungen ist es auch hier wichtig, mögliche körperliche Ursachen ärztlich abzuklären. Denn grundsätzlich können alle psychischen Störungen durch eine körperliche Erkrankung hervorgerufen werden. Zudem empfehle ich auch bei Zwangsstörungen, eine Psychopharmakotherapie beim Facharzt für Psychiatrie abzuklären.
Psychotherapie von Zwangsstörungen
Viele Jahre galt die Verhaltenstherapie als Standardbehandlung von Zwangsstörungen. Hier wird mit einer Expositionsbehandlung mit Reaktionsverhinderung gearbeitet. Die Betroffenen setzen sich unter Anleitung der Therapeutin dem Gedanken oder angstbesetzten Objekt aus und müssen ihre Reaktion (die Zwangshandlung) verhindern/unterlassen. – Dies ist mit erheblichem Stress verbunden und dauert oft sehr lang, da viele Betroffene unter zahlreichen verschiedenen Zwängen leiden.
In den letzten Jahren gibt es in der Behandlung von Zwangserkrankungen u.a. eine neue Entwicklung: die Metakognitive Therapie. Hierbei sind nicht die Zwangsgedanken an sich oder die Zwangshandlungen Gegenstand der Therapie, sondern dahinterstehende „metakognitive Überzeugungen“, beispielsweise:
- „Wenn ich diesen Gedanken habe, dann ist er vermutlich auch wahr.“
- „Wenn ich denke, dass ich diese Tat begehen könnte, könnte das vermutlich auch passieren.“
- „Wenn ich meine Rituale nicht durchführe, dann könnte vermutlich etwas Schlimmes passieren.“
- „Wenn ich denke, dass etwas Schlimmes passiert sein könnte, dann ist es vermutlich auch passiert.“
- „Es schützt in jedem Fall mich und andere, wenn ich meine Gedanken neutralisiere.“
- „Ich kann nicht zur Ruhe kommen, wenn ich das Ritual nicht durchführe.“
- Und andere!
Mit verschiedenen Methoden wird daran gearbeitet, diese Überzeugungen mit der Zeit aufzugeben. Zum Tragen kommen außerdem Verfahren, die den Umgang mit sich aufdrängenden Gedanken erleichtern (z.B. losgelöste Achtsamkeit oder das bewusste Durchführen von Zwangshandlungen, während man bewusst den Zwangsgedanken aufrechterhält). Auf diese Weise verlieren aufrechterhaltende Handlungen, Gedanken und Kreisläufe ihren Sinn und könne aufgegeben werden.
Ich arbeite in der Psychotherapie von Zwangsstörungen mit Ansätzen und Methoden der Metakognitiven Therapie. Zusätzlich nutze ich die PEP (Prozess- und Embodimentfokussierte Psychologie), u.a. um die Anspannung zu senken. Weitere Techniken kommen je nach individueller Lage hinzu, zum Beispiel Verfahren, um die Aufmerksamkeit wegzulenken.
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Entstehung/Ursache von Zwangsstörungen
Wie und warum Zwangsstörungen entstehen, weiß man nicht genau. Es gibt aber verschiedene Vermutungen (Hypothesen) und Modelle. Die Neigung zu bestimmten Denkstilen spielt dabei eine Rolle, ein ängstlicher Grundtypus bzw. eine erhöhte Angstneigung in der entsprechenden Lebensphase sowie möglicherweise neurobiologische Faktoren. Hinzu kommen ältere Modelle aus der Psychoanalyse, die bestimmte Erziehungsstile als Ursache sehen.
Eine sehr gute Übersicht hierzu liefert die fachärztlich geführte Website www.zwänge.info/zwangsstoerungen-ursachen
Häufigkeit von Zwangsstörungen
Etwa 1 % der Bevölkerung haben zu einem Zeitpunkt X die Diagnose Zwangsstörung. 2-3 % der Menschen in einer Bevölkerungsgruppe bekommen im Laufe ihres Lebens eine Zwangserkrankung. Der Beginn liegt meist im Jugend- oder frühen Erwachsenenalter.
80-90 % der Betroffenen leiden sowohl unter Zwangsgedanken als auch unter Zwangshandlungen. Wie oben beschrieben, führen auch Personen, die scheinbar nur Zwangsgedanken haben, auch Zwangshandlungen durch, die aber sehr subtil sind (z.B. nur auf gedanklicher Ebene stattfinden) und daher oft noch nicht als solche erkannt werden.
Unbehandelt kommt es in der Regel zur Chronifizierung und Verstärkung der Symptomatik.